…sodass das Leben ein Abenteuer bleibt
Der niederländische Denker wirft einen Rundblick in die Philosophie zum Thema und formuliert sein eigenes Konzept des guten Alterns.
Zu den wenigen Philosophen, die sich früh in ihrer Karriere gründlich mit dem Altern beschäftigten, gehört der Niederländer Jan Baars, der als Professor für interpretative Gerontologie an der University of Humanistic Studies in Utrecht lehrt. Er war in seinen 30ern, als er begann, sich in das Thema einzulesen - und schockiert darüber, dass "die Senioren" und "alten Menschen" beinah wie eine fremde Spezies behandelt werden, vor allem als Pflegefälle und sozialer Kostenfaktor.
Während wir immer erfolgreicher darin wurden, die Natur in uns und um uns herum technisch zu kontrollieren, haben wir wichtige Fähigkeiten verloren", sagt Baars. In Kulturen, die weniger Mittel der technischen Kontrolle haben, in denen das Leben mithin unsicherer ist, wird der Kunst des guten Umgangs mit dem Unkontrollierbaren oft mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Gerade im Alter, wenn nichts mehr sicher, nichts mehr selbstverständlich ist, fehlt uns diese Kunst. Und so wählen viele Menschen, statt sich aufs Alter einzulassen, lieber die Strategie Altersvermeidung: Anti-Aging, rüstige Senioren, "Du bist aber jung geblieben!".
In früheren Zeiten starben die Menschen in jeglichem Alter. Tod, Krieg, Krankheit und körperliche Schwäche waren ihnen viel näher als uns heute, die Verletzlichkeit ihrer Lebenssituation war ihnen bewusster. Der Übergang ins Alter war sanfter für sie, und gleichzeitig war der Respekt für Alte, der heute oft vergeblich eingefordert wird, eine Selbstverständlichkeit. Weil allein schon das Erreichen eines hohen Alters eine respektable Leistung war - ein Zeichen dafür, dass der oder die Betreffende sein Leben klug geführt haben musste. Vielleicht gab es damals gar keinen Bedarf an einer Philosophie des Alterns. Heute aber gibt es ihn.
Die Zeit des Strebens und Bauens ist vorbei, und wer dennoch versucht, sie zu verlängern, riskiert eine Identitätskrise.
Wie können wir zu den Fähigkeiten finden, die zu einem gelungenen Altern gehören? Jan Baars begann seine Suche mit einer gründlichen Analyse unserer Rede- und Denkweisen über das Alter. "Wie alt ist er?" - "47": Das chronologische Alter ist für uns mehr als eine Zahl. Von einem 47-jährigen Mann haben wir eine Vorstellung, er sollte im Beruf bereits weit gekommen sein, aber noch weiter streben, er sollte eine Frau und Kinder haben und womöglich dabei sein, ein Haus für seine Familie zu bauen. Dahinter steckt die Erwartung, dass ein gelungenes Leben eine schlüssige Geschichte hat - eine Entwicklung, eine Reifung, ein Suchen, ein Streben, ein Finden, ein Erreichen. Indem wir leben, schreiben wir eine Geschichte. Eben das mache unsere Identität aus, sagen manche Philosophen, "narrative Identität" ist der Fachbegriff. Das Alter ist im besten Fall das Happy End dieser Geschichte.
Aber wenn der Vorhang gefallen ist und die Dramaturgie abgeschlossen, worauf sollen wir dann noch unsere Identität gründen? Daher kritisiert Jan Baars das Konzept der narrativen Identität. Es sei unzulänglich als Grundlage eines gelungenen Alterns. Die Zeit des Strebens und Bauens ist vorbei, und wer dennoch versucht, sie zu verlängern, riskiert eine Identitätskrise. Baars sucht nach anderen, dem hohen Alter gemäßeren Fundamenten: gute Erfahrungen, echte Zwischenmenschlichkeit - ein Leben aus wertvollen Momenten. "Das Leben im Alter kann mehr Gelegenheiten und unerwartete, spannende Herausforderungen bieten, als in einem karriereorientierten Lebensplan vorgesehen sind", schreibt Baars. "Wenn man sich weniger nach Manager-Art auf chronometrische Zeit und Alter konzentriert, können sich andere Dimensionen der Zeit öffnen, sodass das Leben ein Abenteuer bleibt."
Teil eines Textes von Tobias Hürter in Hohe Luft. Philosophie-Zeitschrift Dezember 2017